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verbotene bilder
(2006)

»Noli me tangere! Berühre mich nicht!« (Joh 20,17), sagt Jesus zu Maria aus Magdala, als er am leeren Grab erscheint und diese ihn für einen Gärtner hält. Den Jüngern erscheint Jesus als Stimme und Gesicht, nur der ungläubige Thomas legt seine Hände in die Wundmale, um sich handgreiflich zu überzeugen.
Das »Noli me tangere!« ist in der Geschichte des Christentums zu einem Imperativ geworden: Das Auge und das Ohr beanspruchen das Monopol auf die Realität, zugleich erschafft das Berührungsverbot die Sphäre des Heiligen, die Aura von Dingen und Werten, die dem profanen Gebrauch entzogen sind. Der wahrhaft Gläubige muss seinen Glauben nicht durch den niederen Tastsinn verfizieren, die Stimme und die Schrift sind genug. Lange Zeit misstraute das Christentum auch dem zur Sünde tendierenden Auge und damit den Bildern, doch mit der Aufhebung des Bilderverbotes setzte ein wahrer Bilderkult ein. Die Bilder wurden mit der Schrift zum Medium der Offenbarung.

Die Heiligkeit der Bilder spiegelt sich heute noch im Berührungsverbot von musealen Kunstwerken. Das Nolimetangere, das die Kunstwerke in Museen umgibt und schützt, leitet sich kulturgeschichtlich aus der Sphäre des Religiösen ab, in der Dinge aus der Sphäre des allgemeinen Gebrauchs in eine andere Sphäre abgesondert werden, die man das Heilige nennt. Für den italienischen Philosophen Giorgio Agamben entsprechen Museen heute dem, was früher Tempel waren und die Touristen den Pilgern, die in der Vergangenheit quer durch Europa von Heiligtum zu Heiligtum zogen. Der englische Schriftsteller und Kunstkritiker John Berger spricht von einer »Atmosphäre unechter Religiosität«, in die das Kunstwerk eingeschlossen ist. Tatsächlich ist in der sakralen Aura vieler Museen Andacht gewünscht, Schweigen wird beiläufig gefordert, um die ästhetisch reine Begegnung mit dem Kunstwerk zu ermöglichen und die Vollkommenheit der hohen Kunst von ihrem profanen Gebrauch zu scheiden. Fotografierverbote gelten fast überall - entweder aus Gründen des Urheberrechts, aus ökonomischen Überlegungen oder um die Aura nicht durch Blitzlichtgewitter zu stören. Die Kehrseite dieser Resakralisierung ist, daß einem gerade am Ort künstlerischer Freiheit der Zwang und die Kontrolle wiederbegegnen, denen man entfliehen möchte.

Werner Gassers Fotoserie »Verbotene Bilder« thematisiert diese Art der Präsentation und problematisiert damit auch die Institution Museum. Zu sehen ist eine Serie von Aufnahmen, die im Zeitraum 2004/05 in verschiedenen Ausstellungsräumen in Berlin und der näheren Umgebung, in Schlösser und Museen, zum Teil in Sonderausstellungen entstanden sind. Die Aufnahmen stammen aus dem »Jüdischen Museum, Berlin«, »Schloss Charlottenburg«, »Haus der Brandenburgischen Geschichte, Potsdam«, »Gemäldegalerie, Kulturforum Berlin« sowie der »Berlinschen Galerie«.
Alle diese Orte haben etwas gemeinsam: Entweder ist es generell verboten, die ausgestellten Exponate zu fotografieren oder äußerst unerwünscht! (Blicke des Wachpersonals!) Die Aufnahmen wurden deshalb ohne Stativ, ohne zusätzliche Lichtquellen, ohne Blitz, schnell aus dem Handgelenk heraus geschossen.
Der museale Charakter der Exponate wird in Gassers Fotografien durch die Dynamik des fotografischen Ausnahmezustandes konterkariert. Er inszeniert den diebischen Blick, den Querblick, der das Präsentierte anders wahrnimmt, als es gemeint ist. Damit bringt er ein reflexives Moment in die Wahrnehmung und zieht die geltende Raumordnung in Zweifel. Statt in der auratischen Einbettung aufzugehen, investiert er seine eigene Arbeit, um die Bilder aus den Sphären des Verbotes heraus zu holen und durch ihre Transponierung in die Sphäre des Weltlichen einen neuen Gebrauch für sie zu erfinden.
Kunst ist Handlung lautete das Credo der Performances und Happenings der Sechziger- und Siebzigerjahre, als man noch daran glaubte, dass es Weisen der Selbst-Bestimmung einmal gab und womöglich immer noch gibt. Das Gedächtnis der »Selbstkultur«, schreibt Michel Foucault, transportiert den Impuls, »uns von dem, was nicht in unserer Macht steht, zu dem, was in unserer Macht steht, hinzubewegen«.
Heinrich Schwarzer

10.02.-20.03.2006 Galerie Les Chances de l'Art
Via Visitazione 16, 39100 Bolzano



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