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minimal - kunst am bau
(2006)

Ins Bild gezählt
Resonanzen zu Werner Gasser
Von Dr. Jens E. Sennewald, Paris

Werner Gasser: Der Innenraum der Bank wird durch eine mobile Glaswand in einen Schalter- und einen Bancomat Bereich getrennt

Erinnern wir das Experiment des Doktor Parès: »Il avait dessiné d`un coté c`un petit carré de carton une cage, et de l´autre un oiseau; en faisant tourner vivement le carton sur une axe ... on faisait appraitre successivement les deux images et pourtant l´oiseau semblait etre dans la cage tout comme s´il n´y avait eu qu´un dessin. Ce phénomène, qui est à lui seul tout le cinéma, est basé sur le principe de la persistance des impressions rétiniennes… « Walter Benjamin zitiert diese Stelle aus Roland Villiers 1930 erschienenem Band »Le cinéma et ses merveilles«. Villiers Beobachtung zeigt das Bewegungsbild als Ergebnis einer bildlichen Dekomposition zum Zwecke einer imaginären Komposition. Eine Fragmentierung der objektiven Welt im Lichte der Fotografie. Was erzählt Villiers, auch wenn er nebenbei bemerkt, dass Parès Experiment »an sich selbst das ganze Kino« sei?

Werner Gasser: Die Intervention auf dieser Glaswand (ca. 3 x 17m) ist allerdings nur dann sichtbar wenn die Bank geschlossen hat. Das find ich gut so! Ist aber der Schalterbereich für Bankkunden zugänglich, sieht man einen Teil meiner Arbeit als Glasschichten in einer Art »gläserner Tresor«

Zweierlei: zum einen wird von der Illusionskraft der Zeich- nung erzählt. Man sieht einen Vogel und einen Käfig. Dann wird von der Suggestion der in Bewegung gesetzten Zeichnung erzählt: der Vogel ist im Käfig. Wie das Auge in den Linien der Zeichnung sich verfängt, wenn diese sich mit einer bestimmten Geschwindigkeit vor ihm drehen, so ist der Vogel im Käfig gefangen. Der Vogel, Symbol für den freien Geist und die Seele, ist durch die Kräfte der optischen Täuschung gefangen. Und ist es nicht, denn diese Gefangenschaft ist Illusion. Halten wir die Zeichnung an, zerfällt das Bild in zwei Einzelbilder. Oder, in der Weiterentwicklung zum Film, in etwa 15 Einzelbilder (pro Sekunde wahrgenommenem Bewegungsbild). Das Experiment erzählt ein weiteres: der Illusion von Bewegung des Bildes entspricht die Bewegung des Apparates, welcher diese Illusion hervorruft. Sie ist zirkulär. Hinsichtlich der Bedeutung, die das Kino als Bestandteil industrialisierter Kultur erhalten hat, trifft Villiers Nebenbemerkung zu: der im Käfig gefangene Vogel symbolisiert nuce das Kino - und seine innige Beziehung zum Geld.

Werner Gasser: Durch die Verwendung von Zeichen bzw. Zahlen wird einem eher ungenauen Begriff wie »Viele«, »Menge« oder »Masse«, etwas sehr Genaues, klar definiertes gegenüber gestellt. 27 ist exakt 27 - nicht 26 und nicht 28 …

Pagès Beschreibung nennt Elemente des monetären Tauschgeschehens: Zeichnung auf Papier zur Schaffung und unter Verwendung eines Symbols. Dekomposition von Ding und Wert zum Zweck der Komposition eines Geldwertes, Suggestion einer Kongruenz von Ding und Wert in der so erhaltenen Vorstellung, Illusion dieser Ordnung, die zerfällt, sobald beide Faktoren wieder auseinander treten, und schließlich: Erzeugung und Erhalt dieser ganzen Beziehung durch zirkuläre Bewegung - des Geldes, der Dinge, die so zu Waren werden, der Käufer und Verkäufer usw.: Damit Geld als Tauschmittel funktioniert, muss es, wie der Film, mit möglichst konstanter Umlaufgeschwindigkeit zirkulieren.

Werner Gasser: Das Bild wurde anschließend auf eine hauchdünne Kunststofffolie gedruckt und anschließend auf Glas aufgezogen …
Nachdem die Bank geschlossen ist, wird die Glaswand für zwei/drei Stunden hinterleuchtet. Dann verliert sich dieses Gefühl der raumtrennenden Wand, vielmehr vermittelt diese »Licht-Projektion« etwas sehr leichtes, ephimeres, imaterielles im Raum …

Der Film ist, auch etymologisch, an das feine Häutchen, die Membran gebunden, die transparent zwischen Ding und Wahrnehmung steht. Horizontal vor dem Auge entlang läuft das Bild von einer Spule auf eine andere. Die Projektion erzeugt ein Bild, das sich wie ein helles Fenster auf einen eckigen, von hohen Mauern umgebenen Hof öffnet, in dem Kinder spielen. Film verdoppelt jene von Parès beschriebene Urszene des Kinos, die aus den »Eindrücken auf der Retina«, den Nachbildernder Zeichnung auf einer Seh-Membran resultierte. In dem durch Transparenz und Projektion erzeugten Bild findet das Auge eine vollkommene Entsprechung.

Werner Gasser: Ausgangsmaterial für diese Arbeit war ein Mittelformat Dia, auf das ich im Arena Flohmarkt in Berlin Treptow gestoßen bin. Dort hat ein Händler das Archiv eines verstorbenen Fotografen aus der damaligen DDR verkauft. Das Bild ist für mich eine Art Readymade und ich fand es von Anfang an sehr spannend, in einer Bank mit einer solchen Stadionsituation zu spielen …

Die Affinität zur Zahl setzt den Film in Bezug zur Menschenmenge. Der Kinofilm ordnet diese Menge zu einem geometrischen Muster von Zuschauern. Siegfried Kracauer beschreibt diesen Prozess reziproker Ordnung anhand der »Tillergirls«, »unauflösliche Mädchenkomplexe, deren Bewegungen mathematische Demonstrationen sind«. Deren Revuen ereignen sich »in immer dem selben dichtgefüllten Stadion« als »Darbietungen von gleicher geometrischer Genauigkeit«. Das Ornament korrespondiert mit dem der ihm zugewandten Zuschauermenge: »Das Massenornament ist der ästhetische Reflex der von dem herrschenden Wirtschaftssystem erstrebten Rationalität«. Sie entfaltet sich nicht allein in der Zeit, die ihr zu Geld wird. Sie tritt im Raum hervor.

Werner Gasser: Obwohl ich den Bankbereich in zwei Räume trennen musste, wollte ich nicht eine trennende Barriere, eine Wand einziehen. Meine Vorstellung war eher jene, dass eine Lichtwand, eine leuchtende Projektion diese Aufgabe erfüllt.

»Es ist ja eine andere Natur, welche zur Kamera, als welche zum Auge spricht; anders vor allem so, dass an die Stelle eines vom Menschen mit Bewusstsein durchwirkten Raumes ein unbewusst durchwirkter tritt.« Walter Benjamins »Kleine Geschichte der Fotografie« hebt diese räumliche Dimension des Lichtbildes hervor. In ihr richtet sich ein verändertes Denken ein. Dem »Optisch Unbewussten« gewahr werdend, verändert sich der Raum unserer Welt. In diesem Raum denken, heißt immer, mit dem Apparat, dem Material, dem Medium zu denken. Jetzt geben Bilder einen anderen Raum, als jenen der geometrischen Perspektive der Renaissance zu sehen. Einen Zeit-Raum, der sich in den Dehnungen und Raffungen der Zeit öffnet, die durch das Lichtbild sichtbar werden. Für Benjamin war das ein Modell des Schreibens: Raum zu öffnen indem er Zeit weitet, dehnt, in Szenen festhält. Dem Leser wird der Raum zum Spielfeld wie dem Kind das Bilderbuch: »es meistert die Trugwand der Fläche und zwischen farbigen Geweben, bunten Verschlägen betritt es eine Bühne, wo das Märchen lebt (…), wird (…) als Mitspieler aufgenommen.« So nimmt uns der Raum des Lichtbildes auf: als Mitspieler.

Werner Gasser: Die Produktion der Arbeit war natürlich auch mit der Herstellung verschiedener Proben und Muster verbunden. Ich wollte genau wissen, wie die unterschiedlichen Materialien auf Licht reagieren.

Für die Rationalisierungen und das Kalkül des fotografischen Bildes aufmerksam zu bleiben, ist eine Aufgabe. Sie uns transparent zu machen, ist eine Leistung, die der Kunst zufällt. Halten wir das sich um seine eigene Achse drehende Bild an, sehen wir die Zeichnung, sehen das Papier, sehen die Einzelbilder und verstehen, dass aus dem, was Illusion war, bevor das Bild in Bewegung kam, eine neue Realität geworden ist. Hinter sie können wir nicht zurück - wir müssen durch die neuen Bilder hindurch. Zur Erkenntnis? Die transparente Membran führt - in eine Schalterhalle, in einen Raum voller Stenotypistinnen, in eine »Rumpelkammer«. In Räume, die ihrer Rationalität gleichen. Sie bestimmen den Blick zurück, in ihnen wird Geschichte zu Szene: Wenn K. nach seinem Gang auf der Galerie, die Türe zur »Rumpelkammer« erneut öffnet, um zu sehen, ob der Prügler, dem »beim Anblick der Banknote«, mit der K. ihn bestechen wollte, »die Augen geleuchtet hatten«, nicht endlich verschwunden sei, erblickt er, »statt des erwarteten Dunkels« die noch immer gleiche Szene. Doch K. ist nicht mehr derselbe, seine Realität ist durch die Prügler-Szene verändert worden, sie hält ihn gefangen, er ist ihr »verhaftet«. Erinnern wir das Experiment des Doktor Parès.
Dr. Jens E. Sennewald

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